Gestern im Führungskräfte-Workshop wieder die lange Diskussion darüber, was eine „starke“ Führungspersönlichkeit wirklich ausmacht und ob dieser neue Trend des „charismatischen“ Führens, wirklich in Chefetagen seinen Platz hat.
Zunächst machten wir Übungen, wie immer in solchen Workshops: Trainieren eines überzeugenden Auftretens, rhetorische Feinschliffe, nonverbale Wirksamkeit. Schließlich ist es wichtig, Führungsanspruch auch nach außen zu tragen. Hierarchie, Machtanspruch, Wirksamkeit muss im Draußen durchaus sichtbar sein.
Allgemeine Verwunderung dann allerdings, als ich einzelnen taff und hochoffensiv agierenden Teilnehmern lachend andeutete, dass wir bei ihnen nicht noch mehr „Butter aufs Brot“ tun dürften. Ein über-selbstbewusster, extrem durchsetzungsstarker, machtbetonter Auftritt hat nicht nur Vorteile. Ganz im Gegenteil: Aggressionsgebaren mag zwar größten Respekt hervorrufen, schafft aber doch gleichzeitig entweder ein Klima der Gegenwehr und Rebellion oder aber der devoten Anpassung und Angst.
Bei vielen stand jetzt die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Ein junger Mann meinte sogar recht nachdrücklich: „Gerade im Business könne man gar nicht taff genug sein!“ Nach der Devise: mehr „Zähne zeigen“ und strotzende Energie müssten schließlich zu mehr Erfolg führen.
Ist also unerschütterliches Selbstbewusstsein, Härte, Kampfgeist – Grundvoraussetzung einer Führungspersönlichkeit?
Jährlich verschlingt die Ausbildung von Führungspersönlichkeiten in Themen wie Rhetorik, Verhandlungsführung, Präsentationstechniken und Business-Etikette Millionen. Und sicher, die Ausbildung von Führungsqualitäten auf dem Gebiet der selbstbewussten Eigendarstellung und zielführender Erfolgstaktik ist zweifellos wichtig.
Dennoch – und hier sehe ich ein großes „Aber“: Die Kunst des Führens besteht nicht in ehrgeiziger Kampfesstimmung, sondern vielmehr in eleganten Bewegungen des Lenkens, des Menschen-an-sich Bindens durch den vielzitierten „Sog“.
Immer wichtiger wird es, Menschen anzuziehen, in ihnen die Sehnsucht entstehen zu lassen, jemandem auch wirklich folgen zu wollen, weil in diesem ein „Feuer“ brennt, an dessen Licht man Anteil haben will.
Diese Nachfolge ist freiwillig und erfolgt mit dem Herzen. Sie hat nichts mit verlockenden Gehaltsversprechungen und ausgeprägter Incentive-Kultur zu tun!
In einem Zeitalter narzisstischer Selbstdarstellung und wachsender Selbstverwirklichungseuphorie, entwickelt sich zeitgleich auch bei den Menschen die unerschütterliche Sehnsucht nach Echtheit und Authentizität. Führungspersönlichkeiten, die lediglich durch hochenergetische Power-Performance und einstudierte Selbstdarstellungs-Rituale beeindrucken, werden mehr und mehr durchschaut. Es scheint fast eine Übersättigung an Hochglanz-Figuren und Brillant-Rhetorikern einzutreten. Oft stimmen die Taten nicht überein mit den Verheißungen einer besseren Zukunft.
Nun kann man sagen, dass Attribute wie ehrlich, ethisch, wahrhaftig oder wertschätzend recht angestaubt und sehr „undynamisch“ klingen. Was hat überhaupt Emotionalität in einer klar strukturieren, erfolgsorientierten Geschäftswelt zu suchen? Was sucht sie, in einem harten Business-Geschäft, wo manch einer schon damit Schwierigkeiten hat, den autoritären Führungsstil zu Gunsten kooperativer Bemühungen ablösen zu lassen.
Doch die Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. Die Menschen durchschauen zusehends die einstudierten und teils synthetisch wirkenden Versuche „superior“ zu wirken. Es verlangt neuer Führungsqualitäten, die Menschen nicht weiter nur als „human ressources“ betrachten, sondern sie in ihrer Ganzheit sehen. Eben auch mit ihren Ängsten, Nöten, Hoffnungen, Sehnsüchten und Verunsicherungen.
Überzeugende Führung hat mit einer authentischen, wahrhaften Gesinnung zu tun. Zwischenmenschliche Werte, Ethik, Wahrhaftigkeit, sind die Grundpfeiler eines sozialen und auch produktiven Miteinanders.
Mehr und mehr durchschaut man die manipulativen Klimmzüge, wie man aus Mitarbeitern noch mehr Gewinn generieren will.
Elegant geführte Mitarbeiterjahresgespräche, kleine Applaus-Events, die die Motivation aufbauen sollen, Incentive-Aktionen und gruppendynamische freundliche Lenkversuche in Form eines Aktionstages in Unternehmen, werden zusehends als geschickte Führungsmanöver enttarnt.
Die Menschen sind nicht dumm. Sie mögen teils nicht die hochkarätigen Ausbildungen haben, sind nicht trainiert in geschickter Dialektik und psychologischer Strategieführung. Aber sie haben ein sehr gutes Gefühl dafür, wer Echtheit, Loyalität und Wertschätzung wirklich lebt.
Blattgold ist hauchdünn. Und es hat manchmal die dumme Angewohnheit abzublättern, nach einer gewissen Zeit zumindest. Man könnte es übertragen auf auf menschliches Systeme. Viele lassen sich zunächst blenden von der angeblichen Hochkarätigkeit bestimmter Leitfiguren. Doch das Regiment ist von kurzer Zeit, wenn nicht Taten folgen und Stück für Stück der Anstrich seinen Glanz verliert.